Dialerschutz-Hintergrund: Die Fahnder und die Dialer-Mafia

Ein schadenfrohes Grinsen konnten sich die Ermittler nicht verkneifen. „Von Deutschland habe ich die Schnauze voll“, meinte Morten P., nahm seine Koffer und buchte die nächste Maschine nach Mallorca. Der 38-Jährige, frisch verurteilte Dialer-Betrüger, verließ das Amtsgericht Hamburg St. Georg am Freitag als freier Mann.

Zwei Jahre auf Bewährung und zwei Millionen Euro Geldbuße lautete das Urteil gegen den Drahtzieher der Firma „Hanseatische Abrechnungssysteme“ (HAS). Hochgerechnet 3,2 Millionen Euro Schaden hatte der Däne in den Jahren 2003 und 2004 mit Auto-Dialern und fingierten Rechnungen angerichtet. Eine Bewährungsstrafe scheint da gering zu sein. Doch die Staatsanwaltschaft Hamburg ließ sich auf den Deal sehr gerne ein. „Die Wirkung dieses Urteils auf andere Betrüger wird verheerend sein“, sind sich die Fahnder sicher. Aus gutem Grund.

Morten P. war seit Jahren eine große Nummer in der Branche. Er fädelte nicht nur den Millionenbetrug mit den Rechnungen der HAS ein, sondern war auch der Kopf der mallorquinischen Dialer-Firmen „Sun Telecom“ und „Sun Infomedia“. Deren Einwählprogramme waren bei schwarzen Schafen der Branche sehr beliebt: Dialer, die sich auch automatisch und ohne Wissen der betroffenen Surfer einwählen können, versprachen schnelles Geld. Genau diese Form der Dialer setzten der 38-Jährige und sein Komplize (64) auch ein, als sie Ende 2003 ein neues Geschäftsmodell auf den Markt brachten. Sie präparierten Werbebanner im Internet derart, dass sich Surfer beim Klick darauf einen Dialer einfingen. Dieser wählte sich über eine Frankfurter Nummer ein und übertrug so die Telefonnummer des Betroffenen. Callcenter fanden per Rückverfolgung die Adresse der Opfer heraus. Ihnen wurden anschließend Rechnungen über angeblich gebuchte Erotik-Abonnements ins Haus geschickt. Und die Masche hatte Erfolg: Bei knapp 360.000 verschickten Rechnungen und Mahnungen zahlten rund 45.000 Surfer. Die Staatsanwaltschaft Hamburg befragte später rund 6000 Betroffene – mit einem erstaunlichen Ergebnis: Immerhin 7,5 Prozent der Betroffenen erklärten, sie hätten das Angebot bewusst nutzen wollen und deshalb freiwillig gezahlt. Die anderen 92,5 Prozent wurden abgezockt.

Auch der Geschäftsführer packte aus

Die ungeheure Dimension des Dialer-Betrugs wurde den Hamburger Fahndern 2004 erst klar, als Journalisten und Verbraucherschützer die Dänen ins Visier nahmen. „Ohne Foren wie das von Dialerschutz.de und Computerbetrug.de hätten wir nicht gewusst, wie viele Betroffene es tatsächlich gibt“, heißt es bei der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungsbehörde setzte die Täter schließlich fest. Als der Hamburger Geschäftsführer der HAS – gegen eine Aussetzung seiner Freiheitsstrafe zur Bewährung – auspackte, war der Weg frei, auch seinen dänischen Hintermännern das Handwerk zu legen. Morten P. und sein Komplize landeten im Herbst dieses Jahres in Untersuchungshaft.

1075 Seiten umfasste schließlich die Anklageschrift, die in den nächsten Wochen vor dem Amtsgericht Hamburg St. Georg hätte verlesen werden sollen. Stattdessen ging alles ganz schnell am Freitag. Denn es kam zu einem so genannten Deal. Morten P. und sein Komplize räumten die Vorwürfe pauschal ein. Am Nachmittag erhielten sie Freiheitsstrafen auf Bewährung und Geldbußen von insgesamt 2,1 Millionen Euro. Zu wenig? Für die Staatsanwaltschaft nicht. „Solche Betrüger muss man da packen, wo es ihnen richtig weh tut. Beim Geld“, sagt der zuständige Dezernatsleiter Rüdiger Spendler gegenüber Dialerschutz.de. Und rechnet vor: Allein für die Platzierung ihrer Werbebanner bei großen Onlineportalen wie Freenet oder AOL hätten die beiden Täter bis zu 1,5 Millionen Euro bezahlt. Hinzu kamen die Kosten für die technische Infrastruktur in Deutschland und den Niederlanden, das Porto für die rund 360.000 Schreiben, die Löhne für das Call-Center, das die Adressen der Opfer herausfinden musste. Und dazu die Geldstrafe von 2,1 Millionen Euro. „Selbst wenn die Angeklagten 3,2 Millionen Euro erbeutet hätten, wäre das für sie ein enormes Verlustgeschäft gewesen“, sagt Spendler.

Die Angeklagten bestätigten: Es gibt Auto-Dialer

Für die Hamburger Staatsanwaltschaft gab es freilich noch mehr Gründe, sich auf eine Bewährungsstrafe für die Dialer-Betrüger einzulassen. Hätten diese nicht gestanden, die Vorwürfe vielleicht sogar bestritten, hätten mehrere tausend Betroffene als Zeugen vernommen werden müssen. Der Prozess wäre, so vorsichtige Schätzungen, frühestens in etwa drei Jahren zu Ende gegangen. „Bei der Urteilsverkündung hätte die Öffentlichkeit mit dem Namen Hanseatische Abrechnungssysteme nichts mehr anfangen können“, verweisen die Ermittler auf den Grundsatz, dass eine Strafe möglichst „auf dem Fuße folgen“ solle. Und noch einen – nicht unbedeutenden – Nebenaspekt hatte das Geständnis der beiden Dänen: Morten P. und sein Komplize räumten ein, dass sie für ihre Masche einen funktionsfähigen Auto-Dialer einsetzten. Es war das erste Mal überhaupt, dass Täter vor einem Gericht die Existenz von vollautomatischen Einwählprogrammen bestätigten. „Dass es automatische Dialer gibt, die sich ohne Wissen der Betroffenen einwählen, wird in künftigen Strafprozessen nicht mehr diskutiert werden müssen“, ist sich die Staatsanwaltschaft sicher. Die damit verbundene Hoffnung: Ähnlichen Tätern kann in Zukunft einfacher das Handwerk gelegt werden. Und Opfer von Auto-Dialern können sich auf deren gesicherte Existenz berufen.

Morten P. und sein Komplize haben jetzt zwei Wochen Zeit, die Geldstrafe zu überweisen. 500.000 Euro gehen dabei an gemeinnützige Zwecke, der Rest an die Staatskasse. Sollte das Geld nicht rechtzeitig eintreffen, müssen sie wieder hinter Gitter. Abgeschlossen ist der Fall Hanseatische Abrechnungssysteme damit aber noch nicht. Denn auch die übrigen Mitglieder der Betrügerbande werden wohl in den nächsten Wochen Post vom Gericht bekommen. Die Verantwortlichen des beteiligten Callcenters, des Inkasso-Unternehmens und die Zuständigen für die technische Infrastruktur müssen mit entsprechenden Strafbefehlen rechnen.

Weiter Ermittlungen gegen Telehansa und HFM

Die Hamburger Fahnder gehen derweil neue Aufgaben an. Sowohl im Fall der „Telehansa“, als auch im Fall der Firma „Hanseatisches Forderung-Management (HFM)“ laufen die Betrugs-Ermittlungen noch. Auch hier gehen die Ermittler offenbar von dänischen Drahtziehern aus – die sich mit ihrem Landsmann Morten P. einen regelrechten Konkurrenzkampf um den deutschen Markt geliefert hatten. Ein Wermutstropfen aber bleibt. Den Opfern der dänischen Dialer-Mafia wird nichts anderes übrig bleiben, als ihr Geld auf dem zivilrechtlichen Weg von den Betrügern zurückzufordern. Alle Betroffenen einzeln auszuzahlen hält die Staatsanwaltschaft Hamburg für unmöglich: „Da wären die Verwaltungskosten höher als das zur Verfügung stehende Geld.“